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Gottfried Böhm zum 99. Geburtstag

23. Januar 2019

Wer Gottfried Böhm treffen möchte, trifft ihn im Büro. Nicht ungewöhnlich für einen Architekten, wohl aber für einen, der kurz vor der Vollendung seines 99. Lebensjahres steht. Doch er möchte das so. Jeden Tag, sofern seine Gesundheit es zulässt, trifft er gegen zehn in dem vom Vater gebauten Büro-Stammsitz in Marienburg ein. Dort sitzt er mit einer Tasse Kaffee im Erker des Besprechungsraumes, von dem aus sich das Geschehen in Haus und Garten gut überblicken lässt. Hinter ihm ein Triptychon aus SW-Fotografien der Kölner Bauten seines Sohnes Paul: die Moschee, St. Theodor, das Seminargebäude. Daneben das Ägyptische Museumseines Sohnes Peter. Eine Reihe eigener Zeichnungen lehnt gerahmt an der Wand hinter seinem Stuhl, am Fenster ein Modell des Hans-Otto-Theaters. Am Wandvorsprung zu seiner Rechten steht auf einem Sockel der Kopf des Vaters Dominikus in Bronze. Auch ein Werk von ihm, der zunächst gar nicht Architekt, sondern – aus Sorge dem Anspruch des Vaters nicht zu genügen – Bildhauer werden wollte. Paul Böhm, der sich mit an den Kaffeetisch setzt, kann das gut nachvollziehen.

 

©Shedow373, CC BY-SA 4.0
©Shedow373, CC BY-SA 4.0
Paul Böhm, Gottfried Böhm, dessen älterer Bruder Paul Böhm und Stephan Böhm (v. l. n. r.) bei der Aufführung des Films zu Gottfried Böhms 95. Geburtstag am 23. Januar 2015 im Kölner Weißhauskino

 

Und doch sind es heute wieder drei der vier Söhne, die das Büro – oder richtig: die Büros – im Haus leiten und am Laufen halten. Der Vater läuft mit, wird gefragt, von dem einen mehr, von dem anderen weniger. Und schon in den ersten Minuten dieses Zusammentreffens wird wieder klar, nie kann man nur über den einen Böhm sprechen, ohne nicht den Vater, den Sohn und auch die Ehefrau und Mutter zu erwähnen. Es ist eine große Geschichte, so hat es auch der Film “Die Böhms – Architektur einer Familie“ aufgezeichnet. Ist das das Geheimnis ihres Erfolges? „Es ist nett, wenn Sie das so sehen“, sagt er. Paul Böhm stimmt zu, die Rollen im Privaten und Beruflichen seien schwer zu trennen. Wobei man insbesondere den Einfluss seiner Mutter auf die Arbeit des Vaters nicht unterschätzen solle. Dennoch, „der Boss“ war er, so hatte sich das im Büro etabliert.

Heute liegt vor ihm ein Artikel über St. Albert in Saarbrücken. Eine von über 70 Kirchen seines gewaltigen, inzwischen schon historisch zu nennenden Oeuvres. Die Kapelle Madonna in den Trümmern, sein erstes Werk wird im nächsten Jahr 70, der Mariendom in Neviges feierte im vergangenen Jahr den 50. Da denkt man schon mal über das Altern nach. Auch über die Schönheit des Alterns? Er hoffe, dass es bei seinen Bauten anders sei, als bei ihm selbst, sagt er nicht ohne Wehmut, denn er möchte, dass seine Bauten schön sind. Und er denkt an Neviges, wo die undichten Dachflächen des Betonfaltwerks aufwendig saniert werden. Von Sohn Peter, dessen Büro das Projekt leitet, fordert der Boss Standhaftigkeit. Viele seiner Kirchen seien durch den Ruß der Kerzen innen heute deutlich dunkler, fast schwarz geworden. Eigentlich mag man das so nicht, sagt er, doch er gesteht den Räumen die Spuren der Zeit zu, die sich auf ihren Oberflächen durch die stetige Benutzung abzeichnen. Schwieriger findet er die Frage nach der Umnutzung von Sakralräumen, „eine Kirche, was soll es sonst sein?“. Und da merkt man, dass er sich diese Frage nie stellen musste. Ausstellungen und Theateraufführungen in St. Gertrud? Er schaut fast ungläubig. Wie kann man sich die Kirche in der heutigen Zeit überhaupt vorstellen… er schweift ein wenig ab und sucht nach einem Bild für Gott. Der sei für ihn, der immer noch jeden Sonntag in die Messe geht, nie greifbar gewesen, obwohl er doch mit seinen Bauten so vielfältige, nie zuvor erdachte Formen von Gotteshäusern geschaffen hat.

Gottfried Böhm feiert am 23. Januar seinen 99. Geburtstag

©Uta Winterhager
©Uta Winterhager
Gottfried Böhm in der Woche vor seinem 99. Geburtstag an seinem Stammsitz im Kölner Büro

Noch eine andere Veränderung macht ihm zu schaffen. Mit seinem Wettbewerbsentwurf für das Kolumbamuseum hatte Peter Zumthor Madonna in den Trümmern quasi geschluckt. Den separaten Eingang konnte Böhm schließlich durchsetzen, dass jedoch die bunten Glasfenster von Ludwig Gies und Ewald Mataré durch die Einhausung ihre Leuchtkraft verloren haben, macht ihn immer noch ärgerlich. Doch dann schließt er mit „ett is so“, Köln hat ihn also auch geprägt.

Wichtiger als der Konflikt ist ihm heute die Erinnerung an den Bau der kleinen Kapelle, die zu Ehren einer Kalksteinmadonna, die die Bomben und Brände des Krieges unbeschadet überstanden hatte, in den Trümmern der Pfarrkirche St. Kolumba errichtet werden sollte. Eine Aufgabe, die der große Kirchenbauer Dominikus Böhm seinem Sohn übertrug, den er schon lange – vielleicht schon immer – als seinen Nachfolger betrachtet hatte. Heute ist er dankbar für das Vertrauen, das ihm damals neben seinem Vater auch Pfarrer Joseph Geller entgegengebracht hat. Voller Kraft und Spiritualität steckt dieser Andachtsraum, bis heute einer der schönsten in Köln. Doch Gottfried Böhm verliert sich nicht in der Beschreibung. Er ist kein Redner, das war er nie. Lieber lässt und ließ er seine Architektur mit ihren rauen, einzigartigen Formen von Mut, von großen Ideen und einem außergewöhnlichen Gespür für Raum und Material erzählen, als selbst noch Worte dafür zu finden. Als ihm 1986 der Pritzker-Preis verliehen wurde, war er der erste und lange auch der einzige Deutsche, dem diese Ehre zuteil wurde. In Erinnerung daran blieb ihm auch die Tatsache, dass er seine Dankesrede auf Englisch vorgetragen hat, obwohl er die Sprache nicht sprach.

Seine Hände haben Spuren hinterlassen, ganz wörtlich. Daran erinnern auch die ans Fenster gelehnten Musterscheiben mit Zeichnungen aus Nägeln und Schrauben, die er für Christi Auferstehung in Lindenthal gefertigt hat. Der Architekt als Baukünstler, das muss schon sehr lange Zeit her sein. Heute zeichne er nur noch, sagt er ein wenig traurig. Nicht mehr im Büro, der Weg zu seinem alten Arbeitsplatz die Treppen hinauf sei ihm inzwischen zu beschwerlich, sondern zuhause, wo er sich einen kleinen Arbeitsplatz eingerichtet hat. Eine Zeichnung ist gerade fertig geworden, nun möchte er eine neue anfangen, sucht dringlich ein Thema. „Hast du nicht was zu tun für mich, Paul?“, fragt er. Der Sohn verspricht, sich etwas einfallen zu lassen, der Vater ist erleichtert. Es ist beeindruckend, wie stark der Wunsch stetig Neues zu schaffen bis heute ist. Er konnte auf dem von seinem Vater gesetzten starken Fundament etwas Eigenes errichten und konnte Räume zum Wohnen und Arbeiten, Feiern und Beten bauen, die sich von dem Gewohnten radikal unterscheiden ohne fremd zu sein, die Menschen in ihrem Innersten berührten, weil sie etwas Wesentliches transportieren. Dafür gebühren ihm Dank und Hochachtung, die wir ihm an dieser Stelle mit einem herzlichen Geburtstagsgruß übermitteln.

 

Uta Winterhager